Kleine liberale Klimaethik. Überlegungen zur verantworteten Freiheit nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Mit seiner am 29. April 2021 veröffentlichten Entscheidung zum Klimaschutz hat das Bundesverfassungsgericht Rechtsgeschichte geschrieben – und einer Idee der Freiheit zum Durchbruch verholfen, die auch diesen Blog antreibt: Freiheit ist ohne gegenseitige Verantwortung nicht denkbar. Freiheit miteinander, Freiheit füreinander: Sie braucht die stete Abwägung in gesellschaftlichen Lernprozessen zu den Folgen unseres Handelns. Diese Lernprozesse finden statt in den Formen der liberalen Demokratie ebenso wie in den Formen der Sozialen Marktwirtschaft. Das ist die Idee der „qualitativen Freiheit“ des Freiheitsphilosophen Claus Dierksmeier, Gründungsdirektor des Weltethos-Instituts an der Universität Tübingen.

Was heißt das für eine „Kleine liberale Klimaethik“?

Der Klimawandel wirft existenzielle Fragen zum Überleben der Menschheit auf.  Gute Antworten darauf gründen letztlich in ethischen Überlegungen, nicht bloß in Gefühlen oder in den Kategorien politischer Machbarkeit. Liberale Ethik umfasst unterschiedliche systematische Versuche, mit freiheitlichen Prinzipien und Prioritäten ein vernünftiges Urteil darüber zu begründen, was zu tun gut oder richtig oder zumindest geboten ist. Als politische Ethik ist liberale Ethik der Quellcode und die Rechtfertigung liberaler Politik, kein praxisferner Traum.

Struktur der Argumentation

  1. Grundlagen liberaler Verantwortungsethik
    • Kategorien liberaler Ethik
    • Selbstkorrekturen verantworteter Freiheit als Treiber des Fortschritt
    • Der Klimawandel als zentrale politische Aufgabe des Liberalismus
    • Liberale Verantwortungsethik in Abgrenzung zu grüner Gesinnungsethik
  2. Ein liberales Modell des Wandels für die Klimapolitik
  3. Chancen der Entfaltung, nicht Gebote zur Einschränkung
  4. Vernunft und Verantwortung statt Verbot und Verzicht
  5. Selbstkritischer Fortschritt statt radikaler Systemwechsel
  6. Bunte Vielfalt statt grüne Einfalt
  7. Klimawandel als politisches, wirtschaftliches und globales Lernprogramm
    • Lernende Demokratie statt zentralistischer Technokratie
    • Lernende Marktwirtschaft statt statische Planwirtschaft
      • Mehrwert statt Profit: Zur Verantwortung von Unternehmen
      • Spielregeln für kreative Innovation statt Detailsteuerung politischer Prioritäten
        • CO2 muss zum knappen teuren Gut werden, damit Märkte funktionieren
        • Gezielter Handel von Verschmutzungsrechten statt pauschale Umerziehung über Preiserhöhung
    • Global verantworten statt national planen
      • Effizienz beim Klimaschutz heißt global denken
      • Klimaschutz-Innovationen stärken die internationale Wettbewerbsfähigkeit
      • Entwicklungspolitik als Innovationspolitik

I. Grundlagen liberaler Verantwortungsethik

I.1 Kategorien liberaler Ethik

Egal ob in der Pflicht- und Tugendethik Immanuel Kants, im britischen Utilitarismus, in der Vertragstheorie von John Rawls, im kritischen Rationalismus von Karl Popper, der Theorie kultureller Evolution von Friedrich August Hayek, im Lebenschancen-Ansatz von Ralf Dahrendorf oder Amartya Sen, im Ethos weltbürgerlich verantworteter Freiheit von Karl Christian Friedrich Krause und Claus Dierksmeier, in der Diskursethik von Jürgen Habermas oder der liberalen Tugendethik von William Galston: Die Grundmotive des Liberalismus bestimmen auch die Grundelemente der liberalen Ethik.

  • An erster Stelle steht das Primat der Freiheit des Einzelnen. Sie ist das Fundament eines in Würde selbstbestimmten Lebens und gilt universal für jeden Menschen.
  • Dieser freiheitliche Zweck heiligt niemals unfreiheitliche Mittel, und der Selbstzweckformel von Kants kategorischem Imperativ zufolge gilt für Liberale, dass man Mitmenschen niemals nur als Mittel zum Zweck gebrauchen darf. So ist die Freiheit des Einzelnen zugleich Grund und Grenze allen liberalen Handelns.

Die daraus abgeleitete liberale Ethik ist ein schlankes, aber starkes Programm. Schlank, weil es um die dauerhafte Sicherung der Freiheit des Einzelnen geht, und stark, weil sich die liberalen Ideale empirisch bewährt und geschichtliche Erfolge erzielt haben. Weil sie Ideale nicht an der Reinheit des Herzens, sondern an ihren Folgen für die Freiheit von Anderen misst, ist eine liberale Ethik eine Verantwortungsethik.

Liberalismus ist deshalb ein von Idealen beseelter Realismus: Wir wissen, dass die vernünftig selbstbestimmte Individualität zum gesellschaftlichen Pluralismus der nicht unbedingt vereinbaren Vorstellungen des guten Lebens führt – und damit auch zu Konflikten. Aber über Menschen- und Bürgerrechte schützt die liberale Verfassung die individuelle Freiheit und ordnet die Dynamiken und Konflikte gesellschaftlicher Vielfalt durch die Herrschaft des Rechts. Die liberale Rechtsordnung gewährleistet einen fairen Wettbewerb am Markt (verstanden als Entdeckungsverfahren) und eine vernünftige, argumentative Verständigung in der Demokratie (verstanden als lernendes System). Beides sind offene Such-, Lern- und Innovationsprozesse von Versuch und Irrtum, Kritik und Korrektur. Eine Politik der Lebenschancen (und erst recht: der Überlebenschancen) ermöglicht jedem Menschen Teilhabe am Markt und Teilnahme in der Demokratie, um tatsächlich moralisch, ökonomisch und politisch selbstbestimmt leben zu können. Und das liberale Ethos besteht gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern auf Vernunft, Verantwortung und Fairness beim Gebrauch der eigenen Freiheit in Wirtschaft und Gesellschaft, um auch die Freiheit der Anderen zu gewährleisten. Bessere Freiheiten für mehr Menschen sind der Zweck des Fortschritts und ein Gebot der Gerechtigkeit, gerade auch der Generationengerechtigkeit.

I.2 Selbstkorrekturen verantworteter Freiheit als Treiber des Fortschritts

Liberale Ethik ist maßvoll, weil sie niemandem Vorschriften für das eigene Leben macht. Aber sie ist auch anspruchsvoll, weil sie jede Generation in die Pflicht nimmt, dafür zu sorgen, dass  der riskante, mit Konflikten behaftete Balanceakt der Freiheit der Vielen am Ende zum Treiber des Fortschritts für Alle wird.

Schon Kant hatte in den Konflikten der „ungeselligen Geselligkeit“ der Menschen die Notwendigkeit der rechtlichen Ordnung und die Chancen des geschichtlichen Fortschritts entdeckt. Der zu früh verstorbene Soziologe Ulrich Beck hat Kant mit seinem Modell der Risikogesellschaft modernisiert: Weil freiheitliches Handeln oft auch unerwünschte, grenzüberschreitende und am Ende gar freiheitsfeindliche Folgen haben kann, gebietet es die grenzüberschreitende Kooperation bei der Korrektur negativer Konsequenzen.

Weil wir das Primat der Freiheit für jeden Menschen dauerhaft garantieren wollen, ist es für uns Liberale ein steter ethischer Auftrag und zentrale politische Aufgabe, die negativen Folgen unseres Handelns zu korrigieren. Der vor Mitwelt, Umwelt und Nachwelt verantwortete Gebrauch der Freiheit – die kreativ „verantwortete Freiheit“ – wird zum Treiber des Fortschritts.

I.3 Der Klimawandel als zentrale politische Aufgabe des Liberalismus

Zu den negativen Konsequenzen der weltwirtschaftlichen Erfolgsgeschichte von Industrialisierung, Freihandel und Individualisierung gehört ohne Zweifel auch der menschengemachte Klimawandel. Es ist ausreichend belegt, dass die heutigen Klimaveränderungen auf Einflüsse des Menschen zurückzuführen sind. Manche Wissenschaftler sprechen vom „Anthropozän“ als einer neuen Epoche der Erdgeschichte: Die Menschheit ist zu einem entscheidenden Faktor geworden, der unseren Planeten und seine Umwelt verändert. Weil das zu korrigieren ist, ist Klimapolitik für Liberale ein selbstverständliches zentrales Anliegen. Zugleich ist es eine Menschheitsaufgabe, die Erderwärmung zu begrenzen. Die globale Aufgabe macht uns Liberale demütig. Sie ist aber auch eine Chance, liberale Ideen eines in Freiheit verantworteten Zusammenlebens weltweit wirksam zu machen.

I.4 Liberale Verantwortungsethik in Abgrenzung zu grüner Gesinnungsethik

Unser Ansatz einer liberaler Verantwortungsethik der realen Ergebnisse unterscheidet sich gründlich von der grünen Gesinnungsethik der besten Absichten. Er begründet zugleich die fundamentalen Unterschiede zwischen der Klimapolitik der FDP und der Klimapolitik der Grünen (oder gar zur Klimaleugnung der AfD). Weder wir noch die Grünen noch irgendeine Partei haben einen Alleinvertretungsanspruch zu Fragen des Erhalts der natürlichen Lebensgrundlagen. In einer Demokratie müssen wir am Ende auch zusammenwirken. Aus liberaler Sicht taugt grüne Gesinnung zur Dramatisierung und zum Agenda-Setting, aber nicht nur zur wirkungsvollen Veränderung. Zu Leidenschaft und reinem Herzen müssen die Neugier auf Lernprozesse und Innovationen kommen und der vernünftige Blick auf die Voraussetzungen und Konsequenzen unterschiedlicher Maßnahmen. Grüne Sorgen – wie übrigens auch linke Kritik oder konservative Bedenken – brauchen am Ende immer liberale Lösungen.

II. Ein liberales Modell des Wandels für die Klimapolitik

Wer effektive Klimapolitik will, muss ein Modell dafür haben, wie und wo Verantwortung in die Welt kommt. Wer die innerparteilichen Diskussionen der Grünen oder die Profilierungsversuche der SPD beobachtet, dem muss Klimapolitik als simpler Überbietungswettbewerb der guten Absichten erscheinen: Je radikaler die Zielsetzung, als desto glaubwürdiger gilt die gute Absicht. Aber sich symbolisch zu ehrgeizigen Zielen zu bekennen, ersetzt weder ein realistisches Veränderungsmodell noch echte, effiziente Innovationen. Innovationen und letztlich eine gesellschaftliche Transformation sind nur zu haben, wenn wir auf einen vielfältigen Wettbewerb um die besten Lösungen auf allen Ebenen setzen.

II.1 Chancen der Entfaltung, nicht Gebote zur Einschränkung

Liberale wollen Klimapolitik besser machen, nicht Supertrumpf mit Planzahlen spielen. Die Pariser Ziele der überwältigenden Mehrheit der Staaten, die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen, sind jedenfalls völkerrechtlich und selbstverständlich auch für uns verbindlich. Wir wollen allen Ehrgeiz daransetzen, sie nicht nur zu erreichen, sondern eine Dynamik auszulösen, mit der wir diese Ziele sogar übertreffen. Liberale Politik setzt dabei aus Prinzip und Erfahrung auf Chancen der Entfaltung, nicht auf Gebote zur Einschränkung. Wo Grüne das Heil in Verboten und einer Rhetorik des Verzichts suchen, vertrauen wir auf die Vernunft und eine Praxis der Verantwortung auf allen Ebenen. Verantwortete Freiheit findet ihren Ausdruck

  • in der Selbstverantwortung der Einzelnen (Mikro-Ebene),
  • in der institutionelle und gesetzliche Rahmenordnung und (Makro-Ebene),
  • und in den Lernprozessen und Innovationen von Unternehmen, Parlamenten und Parteien in Marktwirtschaft und Demokratie (Meso-Ebene).

II.2 Vernunft und Verantwortung statt Verbot und Verzicht

Klar für Liberale: Vertrauen in die Verantwortungsfähigkeit des Einzelnen ist die Grundlage von Sozialer Marktwirtschaft und Liberaler Demokratie. Weil wir für die Folgen unseres Handelns verantwortlich sind, sollte jeder Mensch nicht nur den eigenen ökologischen Fußabdruck kennen, sondern auch die Mittel zu dessen Verkleinerung. Jeder von uns möchte in 20 Jahren den Kindern von heute in die Augen schauen und sagen können: Ich war Teil der Lösung, nicht Teil des Problems – als Konsument, als Wählerin, an meinem Arbeitsplatz und an meinem Lebensort. Schon wenige Konsumenten oder wenige Demonstrantinnen können wichtige Trends anzeigen, Innovationen auslösen und die Richtung ganzer Branchen und Länder verändern.

Allerdings ist die Vorstellung, der Kampf gegen den Klimawandel hänge davon ab, dass jeder Mensch einen Erweckungsmoment des individuellen ökologischen Gewissens, von Einkehr und Verzicht erlebt, eine religiöse Hoffnung auf Erlösung – und politisch ein inakzeptabler, weil totalitärer Anspruch. Sie irrt in dem Glauben, gutes Handeln erkenne man verlässlich an Aufopferung, Altruismus und Leidensbereitschaft, wie sie mit Verboten und Verzicht einhergehen. Sie ignoriert zugleich, dass ethisch motivierter gesellschaftlicher Wandel nur gelingt, wenn er Arbeitsteilung wird, statt nur Privatsache zu bleiben; professionell verfolgt statt nur ehrenamtlich gefordert wird; und von institutionellen Selbstverständlichkeiten getragen wird, statt von individuellen Heldenleistungen abzuhängen.

Das liberale Menschenbild, die liberale Ethik und die Erfahrung unserer liberalen Institutionen besagen: Individuell verantwortliches Handeln kann durch allgemeine Regeln alltäglich, normal und selbstverständlich werden. Klar soll man mit ökologischer Verantwortung Geld verdienen können. Also ist die Rechnung mit dem Wirt zu machen: Was nützt es einem entschlossenen Veganer, wenn alle Gaststätten nur Fleisch auf der Karte haben? Wirkliche Veränderung kommt nur da, wo ökologische Verantwortung im Alltag einfach wird. Wir müssen also weg von einer Politik, die Klimaschutz eindimensional als eine Frage von Vorschriften und Verboten betrachtet. Das schließt Regeln wie eine absolute CO2-Begrenzung am Ende auch nicht aus. Aber wir müssen hin zu einem ganzheitlichen Blick auf die Klimapolitik, mit dem wir verstehen, wo die wirksamsten Hebel für Veränderung sind – in den institutionellen Weichenstellungen.

II.3 Selbstkritischer Fortschritt statt radikaler Systemwechsel

Institutionell ansetzen wollen natürlich auch KlimaaktivistInnen. Die Klimakrise ist für einige von ihnen eine willkommene Gelegenheit, die Systemfrage zu stellen: Weg mit dem Kapitalismus und seiner Wachstumsideologie, und weg mit der Demokratie und ihren faulen Kompromissen – stattdessen Planwirtschaft und Technokratie, wenn nicht gar Öko-Diktatur, radikale De-Industrialisierung und systematische Verarmung zurück zu einer romantisch verklärten Harmonie mit der Natur. Den Kulturkampf um das Auto etwa versteht man am besten, wenn man ihn als Teil dieser Systemauseinandersetzung versteht.

Wer einen Systemwechsel fordert, hat aber nicht verstanden, dass und warum der Liberalismus für Milliarden von Menschen Frieden, Fortschritt und Wohlstand geliefert hat – weil nämlich die Institutionen und Konventionen verantworteter Freiheit in historisch beispiellosem Ausmaß die friedliche Kooperation und den fairen Wettbewerb um bessere Lösungen für mehr Menschen gewährleistet haben. Der Liberalismus und seine Ethik bieten das friedlichste und produktivste Modell gesellschaftlichen Wandels auf, das wir kennen. Wo Vernunft, Wissenschaft und Humanismus eine Chance haben, stellt sich beispielloser Fortschritt ein, wie zuletzt erst Steven Pinker in seiner Verteidigung der Aufklärung deutlich gemacht hat.

Nichts wäre also kontraproduktiver für den Klimawandel, als die bewährten wirtschaftlichen und politischen Systeme der verantworteten Freiheit zu wechseln. Dass wir Wirtschaft und Demokratie immer wieder von Besitz- und Rückständen befreien müssen, steht auf einem anderen Blatt. Gerade die kritische Selbstkorrektur in den lernenden Systemen der verantworteten Freiheit ist ja der Treiber des Fortschritts. Verantwortete Freiheit muss aber auch der Quellcode bleiben, wenn wir in kreativer Kontinuität die Marktwirtschaft nicht nur sozial, sondern auch ökologisch verpflichten oder die dezentralen Lernprozesse der Demokratie stärken wollen.

Fortschritte beim Klimaschutz müssen uns nicht nur in Einklang mit unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung gelingen, sondern sie werden auf Dauer auch erst wirkungsvolle und gelebte, also nachhaltige Praxis, wenn sie ein Ausdruck von, nicht ein Angriff auf den Rechtsstaat, unsere demokratischen Institutionen und unsere Marktwirtschaft mit Privateigentum sind.

II.4 Bunte Vielfalt statt grüne Einfalt

Gerade weil Lernprozesse vielfältige Versuche brauchen, ist es ein zum Scheitern verurteilter, moralisch herablassender, häufig nur Unfrieden stiftender ideologischer Angriff auf die Vielfalt der Lebensstile und Milieus in der Tradition des Tugendterrors, wenn das reine grüne Gewissen der fahrradfahrenden Vegetarier zum Gesetz des Landes erhoben werden soll.

Nachhaltiger werden wir als Gesellschaft nur, wenn wir von der Vielfalt ökologischer Verantwortung lernen, die in Deutschland praktiziert wird: Von den Landwirten, die im Einklang mit der Natur wirtschaften; von den Pionierinnen der Sharing Economy, die CO2 einsparen oder ländliche Mobilität neu erfinden; von Asketinnen und Minimalisten, die aufzeigen, wie Verzicht die Lebensqualität steigern kann; von Yoga-Schulen, wie wir Gesundheit im Bewusstsein für unseren Anteil am großen Ganzen stärken; von Datschenbesitzern, die Urlaub im eigenen Garten genießen; oder von gläubigen Menschen, die einen arbeitsfreien Tag in der Woche als emissionsfreien Tag begehen. Entdecken wir, dass lebenslanges Lernen auch dort stattfinden kann, wo wir neugierig auf andere sind.

Liberale werden ihre Verpflichtung auf kulturelle Vielfalt und sozialen Frieden auch nicht dem Klimaschutz unterordnen. Nur, wo uns die Vereinigung der Ziele gelingt, können wir auf dauerhaften Erfolg hoffen. Auch die „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen kennen neben Maßnahmen zum Schutz des Klimas noch 16 weitere Ziele. Dazu zählen nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum, gute Bildung und Bekämpfung von Armut. Es ist völlig unangebracht, Klimaschutz unabhängig von diesen Zielen zu verfolgen. Denn auch hier gilt: Ökologische Nachhaltigkeit gewinnen wir dauerhaft nie gegen, sondern nur im Einklang mit anderen Zielen menschlicher Entwicklung.

III. Klimawandel als politisches, wirtschaftliches und globales Lernprogramm

Niemand kann heute schon genau wissen, welchen Verlauf der Klimawandel nimmt und welche Antworten er morgen erfordert. Im Verlauf des Klimawandels erwarten wir eine Auseinandersetzung über fundamentale Fragen verantworteter Freiheit, so danach, wie wir die Effektivität von Maßnahmen überhaupt beurteilen können; wie wir weltweit und in Bezug auf Europas Küsten Lasten im Interesse eines freiheitlichen und friedlichen Miteinander teilen; wie wir die Durchsetzung weltweiten Rechts und wirksamer Verträge gewährleisten; oder welche solidarischen Leistungen wir Menschen schuldig sind, die durch den Klimawandel ihr Eigentum verlieren oder fliehen. All diese Fragen erfordern einen von Vernunft und Fakten, von Augenmaß und Verantwortung und von Verständigung und gegenseitiger Beratung bestimmten Such-, Lern- und Gestaltungsprozess. Der Klimawandel wird zum politischen, wirtschaftlichen und globalen Lernprogramm.

III.1 Lernende Demokratie statt zentralistischer Technokratie

Die liberale Demokratie ist der Technokratie oder gar einer Öko-Diktatur grundsätzlich überlegen, weil sie ein lernendes System ist. Die Verfahren einer liberalen Demokratie beteiligen die Menschen an der Lösung von gemeinsamen Problemen, die die gemeinsam betreffen. Je nach Verfahren sind sie direkt oder indirekt an Agenda Setting, Lösungssuche, Entscheidung oder Bewertung beteiligt. Dabei reicht es nicht, moralische Ansprüche zu postulieren, sondern diese müssen in faktenbasierte Argumente übersetzt werden. So schafft Demokratie eine besondere Form von Wissen: Vorläufiges, angewandtes, kreatives, bewertetes und auf Konsens gerichtetes Wissen.

Mit der intelligenten Einbindung von Betroffenen wird die problemverarbeitende Demokratie lernfähig. Das demokratische System sei ein Lernsystem, schrieb der Soziologe Karl-Otto Hondrich 2005: „Es lernt durch Versuch, Irrtum und Revision“. Lernende Systeme und Organisationen aber sind besonders leistungsstark und widerstandsfähig – genau das, was unser politisches System heute sein muss. In einer Demokratie kann man Politik ändern, ohne das System verändern zu müssen: Demokratische Politik kann darum immer besser werden, als sie schon ist.

Wer dagegen Vorstellung nachhängt, dass gesellschaftliche Veränderungen am grünen Tisch geplant werden müssten, der gelangt schnell zu der Konsequenz, dass jeder Lebensbereich bis ins Detail vom Gesetzgeber bestimmt und bürokratisch kontrolliert werden muss. Ulrich Beck hatte dieses Denken mit dem autoritären Staatskapitalismus chinesischer Prägung verglichen. Er sagte, dass manche seiner „Freunde aus der Umwelt und Klimabewegung ein Stück weit mit dieser Figur der ökologischen Steuerung von oben“ liebäugeln würden. Es waren Planwirtschaften wie in den Ostblock-Staaten, in denen der Schutz der Umwelt am allerwenigsten gelang.


Liberale Demokratiepolitik stärkt deshalb die dezentrale Lernfähigkeit der Demokratie, damit es gelingt, Probleme stetig besser zu verarbeiten und den gegenwärtigen Druck auf die liberale Demokratie in einen Schub des Fortschritts umzuwandeln. Liberale Demokratiepolitik steht damit auch im Einklang mit dem vielfach als Anleitung zur Planwirtschaft falsch verstandenen Gutachten „Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) von 2011.

  • Unter der Überschrift „Mehr Demokratie wagen“ ruft es die „strukturellen Elemente und Vorteile der demokratischen Herrschafts- und Lebensform (…) in Erinnerung.“
  • Die Große Transformation könne nur gelingen, „wenn die Systeme innovative Lösungen hervorbringen und sich möglichst viele Akteure aus allen gesellschaftlichen Bereichen an ihr beteiligen“.
  • Sie sei auf aktive, interessierte und verantwortungsbewusste Bürger angewiesen: „Nur eine offene, demokratische Gesellschaft ist in der Lage, die Art von Kreativität und Innovation zu entwickeln, die die Transformation erfordert. Es geht also nicht darum ob, sondern wie die Transformation demokratisch gelöst wird.“

III.2 Lernende Marktwirtschaft statt statische Planwirtschaft

Die schöpferischen Kräfte der Wirtschaft gehören zu den größten Treibern von Veränderung in der Welt. Unser Zusammenleben ist wesentlich davon geprägt, wie wir produzieren, handeln und konsumieren.  Jeder wirtschaftliche Akt, angefangen bei der Entscheidung über das Geschäftsmodell und die Produktentwicklung über Investments und Anlagen bis in die Produktion und den Vertrieb, ist ein Wahlakt, der zugunsten der Verantwortung für das Klima – und damit die Freiheit aller Menschen – ausfallen kann oder dagegen.

III.2.a Mehrwert statt Profit: Zur Verantwortung von Unternehmen

Es liegt im wohl verstandenen Eigeninteresse von Unternehmen, die Voraussetzungen zu stärken, von denen sie abhängig sind. In failed states und in kaputten Ökosystemen kann man nicht verlässlich Gewinne einfahren. Business ist weit mehr ein Stakeholder der Gesellschaft als umgekehrt. Wo die Menschen ihre Freiheit verlieren, tut es auch die Wirtschaft. Verantwortung ist deshalb kein notwendiges Übel, sondern eine strategische Chance. Firmen, die ihre Geschäftsmodelle proaktiv am Wandel gesellschaftlicher Bedürfnisse ausrichten – etwa an den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen – betreiben nicht nur smartes Risiko- und Reputations-Management. Sondern sie spornen sich selbst auch zur Innovation ihrer Strategien und Angebote an. So finden sie den Weg zu neuen Produkten und Kundenschichten und können langfristig Prinzipien und Profit mit einander vereinbaren.

Social Entrepreneurs und Social Intrapreneurs zeigen heute erneut auf, was große Unternehmer wie Walter Rathenau oder Robert Bosch oder schon immer wussten: Verantwortung für Mitwelt, Umwelt und Nachwelt ist keine Einschränkung freier Unternehmen nach dem Motto „Do no harm“, sondern eine Einladung, den Unternehmenszweck in einem Beitrag für eine bessere Welt zu bestimmen. Denn „People, Planet, Profit“ gehören am Ende zusammen.

  • Das gilt nicht nur im Miteinander im Unternehmen oder gegenüber den Partnern in der Kette der Mehrwertschöpfung (people),
  • sondern auch der Umwelt gegenüber (planet).
  • Profit ist ein (notwendiges) Mittel zum Zweck, Werte zu schöpfen und zu fördern, die über die monetäre Gewinnorientierung hinaus gehen.

Zum sozialen und ökologischen Mehrwert gehört,

  • in der Lieferkette Menschenrechte einzuhalten (blaue Lieferkette)
  • und ökologisch verantwortlich zu sein (grüne Lieferkette).

Unternehmen, die sich nicht nur auf den Profit ihrer Anteilseigner (shareholder) ausrichten, sondern sich der gemeinsamen Mehrwertschöpfung aller Beteiligten verpflichtet fühlen (stakeholder), suchen den Dialog mit allen Beteiligten und Betroffenen: Sie nehmen ihre Rolle als zivilgesellschaftliche Akteure und als Mitgestalter der Weltgesellschaft an.

III.2.b Spielregeln für kreative Innovation statt Detailsteuerung politischer Prioritäten

Liberale wollen die Verantwortung der wirtschaftlichen Akteure freisetzen statt bevormunden. Dafür müssen nicht nur die Spielregeln der Wirtschaft klar sein und für alle gelten, sondern auch der Sinn und Zweck des Spiels: Wirtschaft hat, wie auch die Politik, letzten Ende der Befreiung und Freiheit von Menschen zu dienen. Sie ist den Lebenschancen, und damit auch den Überlebenschancen der Menschen verpflichtet. Die politische Rahmenordnung muss es allen an der Wirtschaft Beteiligten ermöglichen, an diesem Spiel fair und einfach teilzunehmen. Welche Prioritäten dann gesetzt werden, entscheiden Bürger und Unternehmen in Selbstverantwortung. Wer unter diesen Bedingungen mit der effizienten Organisation von Produkten und Dienstleistungen Erfolg hat, gewinnt – das ist ein Gebot der Leistungsgerechtigkeit. Wer gegen die Regeln verstößt, für den gilt das Verursacher- und Haftungsprinzip.

CO2 muss zum knappen teuren Gut werden, damit Märkte funktionieren

Für die Klimapolitik heißt das: Die Nutzung und Belastung natürlicher Ressourcen muss schon heute einen Preis haben, sonst können Märkte nicht verantwortlich funktionieren. Die Umverteilung von ökologische Kosten zwischen Weltregionen und Generationen ist ungerecht und inakzeptabel. Wenn der CO2-Ausstoß zum teuren Gut wird, wird dessen Vermeidung zum wirtschaftlichen Eigeninteresse. Ingenieure und Naturwissenschaftler können dann die wirksamsten und günstigsten Wege finden, um die politisch festgelegten Ziele zu erreichen. Dieser kreative Such- und Lernprozess der Wirtschaft wird zugleich zu einem umfassend verantworteten Anpassungsprozess, in den die vielen Ideen und Innovationen der beteiligten Akteure eingehen. Schon oft hat die Marktwirtschaft gezeigt, dass sie Knappheit mit Erfindungsgeist und Technologiesprüngen auffangen kann.

Gezielter Handel von Verschmutzungsrechten statt pauschale Umerziehung über Preiserhöhung

Wenn es gelingt, das Verursacherprinzip konsequent auf den Ausstoß von Kohlendioxid anzuwenden, wäre das ein echter Paradigmenwechsel. Hier liegt auch der grundsätzliche Unterschied zwischen einer CO2-Steuer, wie sie auf der politischen Linken favorisiert wird, und einem Modell, in dem Verschmutzungsrechte unter der Maßgabe eines festen CO2-Deckels gehandelt werden, der sich das sich an den Pariser Zielen orientiert. Eine CO2-Steuer soll die Menschen über den Preis zu einem anderen Verhalten zwingen – hier ist Erziehung das Ziel. Ein festes CO2-Limit, verknüpft mit den Preissignalen eines Handels mit Emissionszertifikaten, aktiviert dagegen die Verantwortung von Unternehmen und von Konsumenten. Es vermeidet zudem, die Kosten von CO2 von Mehrheitsverhältnissen im Parlament abhängig zu machen.

Jeder, der mit seinen Produkten oder Dienstleistungen CO2 emittiert, muss dann entsprechende Rechte kaufen. Er kann sie auch wieder verkaufen, wenn er sie nicht mehr benötigt. In einem solchen Modell sinkt jährlich die Menge der Zertifikate. Dadurch steigt der Preis und die Unternehmen haben ein eigenes ökonomisches Interesse daran, Kohlendioxid zu sparen. Wir würden damit im Markt einen Anreiz schaffen, CO2 möglichst effizient und günstig zu vermeiden. Die Bepreisung von CO2 soll aktiv neue Ideen wirtschaftlich machen, nicht Flugreisen und Autofahrten zum Luxusprodukt.

Wo die CO2-Bepreisung auf die Preise für Konsumenten durchschlägt, können diese selbst entscheiden, wo sie CO2 sparen möchten: Der eine isst kein Fleisch und verzichtet auf das Auto, fliegt aber gerne alle paar Jahre als Backpacker nach Asien. Die andere fährt in den Urlaub mit der Bahn, grillt aber gerne mal abends ein Steak.

III.3 Global verantworten statt national planen

Der Liberalismus erstrebt die Freiheit aller Menschen. Die Sorge um die Freiheit der Nächsten wie der Fernsten galt liberalem Denken schon immer als moralische Pflicht und sittlicher Auftrag wie auch als Zielbestimmung von Politik. Denn Freiheit ist eine unteilbare Idee. Die Freiheit der Einen darf daher nicht auf Kosten der Freiheit der Anderen erschlichen werden. Wer angesichts der uns global bedrängenden Probleme im Bereich der moralischen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit nicht einer Tugend-, Sozial-, oder Ökodiktatur das Wort reden will, muss liberale Wege zu ihrer Lösung finden.

Nur wo Freiheit sich durch ihren verantwortlichen Gebrauch bewährt, wird sie bewahrt. Die Sorge um eine weltweit nachhaltige Entwicklung ist ein zentrales liberales Anliegen, insofern und wenn sie dazu beiträgt, dass alle Menschen – auch zukünftige – reale Lebenschancen erhalten. Liberale stellen sich selbstverständlich der Frage, wie wir global verantwortliche Regelungen finden – erst Recht, weil die Klimakrise in nationalen Grenzen nicht zu lösen ist.

III.3.1 Effizienz beim Klimaschutz heißt global denken

In der Klimakrise global zu denken heißt, effektive globale Lösungen statt bloß nationale Erfolge anzustreben. Für jeden eingesetzten Euro wollen wir das Maximum an Klimaschutz erreichen. So ist zu fragen, ob wir mit den Milliardensummen, die im Zuge des Kohlekompromisses als Entschädigung an die Energiekonzerne gezahlt werden müssen, nicht woanders schneller und mehr CO2 eingespart werden kann: Zum Beispiel über Investitionen in die Modernisierung von Kraftwerken in Asien oder durch den großflächigen Kauf und Schutz von Regenwald in Südamerika. Minutiöse nationale Klimaschutzpläne für die kommenden Jahrzehnte sehen nur auf den ersten Blick gut aus. Es mag ein gutes Gefühl vermitteln, wenn in der Nachbarschaft das Kohlekraftwerk abgeschaltet wird, das aber vielleicht mit modernster Technik ausgestattet ist. Gute Gefühle aber helfen dem Klima nicht. Für verantwortliche Klimapolitik ist wichtig, dass wir möglichst schnell Treibhausgase einsparen. Wo dies genau geschieht, ist für den Klimaschutz egal. Er ist eine globale Aufgabe.

III.3.2 Klimaschutz-Innovationen stärken die internationale Wettbewerbsfähigkeit

Die Ingenieurnation Deutschland sollte sich am Wettstreit um bessere Lösungen beteiligten, statt ihr Heil in Degrowth-Fantasien zu suchen. Sonst werden wir in zehn oder 20 Jahren tatsächlich keine Durchbrüche erzielen – oder diese werden dann in China oder Indien passieren. Zumindest versuchen sollten wir es also – statt Ehrgeiz daran zu setzen, der Autoindustrie in Deutschland den Garaus machen zu wollen. Diese Schlüsselbranche und ihre Beschäftigten sind – bei allen laufenden Anpassungen – nach wie vor hochinnovativ und erbringen einen großen Teil der privaten Forschungsleistungen in unserem Land.

III.3.2 Entwicklungspolitik als Innovationspolitik

Für Liberale ist es ethisch geboten, andere bei der Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse zu unterstützen. Die Schwellenländer müssen nicht alle früheren Entwicklungsstufen der westlichen Länder durchlaufen, sondern können gleich auf Zukunftslösungen setzen. Die Produktion von synthetischen Kraftstoffen als Alternative zu Benzin und Diesel in sonnenreichen Ländern kann an entscheidender Stelle helfen, unser Energieproblem global zu lösen und sich entwickelnde Länder am Wohlstandszuwachs teilhaben zu lassen. Deutsche Entwicklungspartnerschaft könnte über den Export von Innovationen und ihrer Adaption an die jeweiligen regionalen Verhältnisse den ethischen Handabdruck von Ingenieurleistungen bei der Lösung der Klimakrise vervielfachen.

  1. CO₂-Ausstoß ließe sich auch rein zivilrechtlich verteuern, indem beispielsweise eine Stiftung die fossilen Brennstoffvorkommen der Erde aufkauft und im Boden belässt. So ähnlich wie Umweltschützer Regenwald aufkaufen, um ihn vor wirtschaftlicher Ausbeutung zu schützen.

    Die Preise für fossile Brennstoffe würden weltweit ansteigen, im Unterschied zu einem lokalen Zertifikatehandel. Nicht verstanden habe ich, warum je nach Mehrheitsverhältnissen im Parlament der Zertifikatehandel nicht auch wieder abgeschafft werden kann bzw. weitere Zertifikate ausgegeben werden, um die leeren Staatskassen zu füllen.

    Individuellen Heldenleistungen in Form von Spenden an die Stiftung würden nicht verpuffen, sondern Marktsignale senden.

    Die Stiftung will eine bestimmte Menge von Brennstoffvorkommen möglichst billig einkaufen. Sie könnte zu diesem Zweck Forschung und Entwicklung fördern, welche die Nachfrage senkt – also beispielsweise preiswerte Kernkraftwerke entwickeln, die dank Hochtemperatur auch günstigen Wasserstoff herstellen können, oder zumindest Fernwärme liefern.

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