„18 Thesen zur Grundsatzprogramm-Diskussion“ – sie waren einer meiner Beiträge in der Grundsatzkommission der Jungen Liberalen 2008. Die JuLis hatten 1994 ihr erstes Grundsatzprogramm zum „Humanistischen Liberalismus“ beschlossen. Im Oktober 2008 erneuerten die JuLis ihr Grundsatzprogramm unter der Federführung von Marco Buschmann im Auftrag des damaligen JuLi-Bundesvorsitzenden Johannes Vogel – „Humanistischer Liberalismus 2.0“. Der dort einleitende Satz „Der Mensch ist Grund und Grenze der Politik“ inspirierte den ersten Satz „Die Freiheit des Einzelnen ist Grund und Grenze liberaler Politik“ der Karlsruher Freiheitsthesen der FDP von 2012 und markierte hier wie dort die Freiheit des einzelnen Menschen als Zweck wie Mittel liberaler Politik. Hier zu dokumentarischen Zwecken:
Erwartungen an unser jungliberales Grundsatzprogramm
1. Unser Grundsatzprogramm beschreibt die Herausforderungen der Zeit, in der wir leben, und wendet sich an die Menschen, die wir sind. Es beschreibt, was wir unter Liberalismus verstehen, und verbindet unsere Vision liberaler Gesellschaften mit konkreten Antworten und ersten Schritten auf dem Weg zu mehr Freiheit für mehr Menschen. Den besten Hoffnungen, die unsere Generation mit den Ideen von Freiheit und Verantwortung verbindet, gibt es lebendigen Ausdruck – wir spüren darin unser Lebensgefühl als junge Liberale.
2. Zu Beginn des 21. Jahrhundert ist die Freiheit in Gefahr. Ihre Feinde sind der Fundamentalismus und Fanatismus, aber auch die Apathie und die Angst. Sie ist bedroht durch Diskriminierung, Neid und Intoleranz, aber auch durch Sorg- und Verantwortungslosigkeit. Sie verliert, wo Perspektivlosigkeit und Sinnverlust oder auch die Flucht in einfache Antworten vorherrschen. Diese Erscheinungen sind allesamt Früchte menschlicher Schwäche, wie sie aus blühenden Kulturen des Misstrauen und der organisierten Unverantwortung und Korruption erwachsen.
3. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gilt aber auch: nie war die Wertefamilie der Freiheit wichtiger und attraktiver, nie waren die liberalen Ordnungen des Rechtsstaats, der Marktwirtschaft, der Demokratie und der liberalen Bürgergesellschaft eine dringlichere Antwort auf die Nöte von Millionen von Menschen und auf die gewaltigen ökologischen, sozialen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen, vor denen wir weltweit stehen.
4. Wir Liberale sind in diesen Zeiten besonders gefordert, den vielfältigen Wandel der Globalisierung und Weltordnung, der Wissensgesellschaft und des kulturellen Austausches, der Arbeitswelt und der demographischen Veränderungen zu gestalten. Wir nehmen die Herausforderung an, in freie Menschen und mündige Bürger liberaler Gesellschaften zu investieren. Selbstbewusst stellen wir uns dem Kampf um die Werte der Aufklärung und der doppelten Aufgabe, einerseits neue Grenzen zu ziehen und andererseits für vielfältige Angebote gesellschaftlicher Integration zu sorgen.
5. In Fortführung unserer liberalen Traditionen wissen wir: die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft bestehen wir nur mit und durch die Bürger – niemals für sie oder gegen sie. Vertrauen schafft menschliche Stärke. Wir jungen Liberalen werden mit starker Hand liberale Errungenschaften des Rechtsstaates verteidigen und die unsichtbare Hand des Marktes vor Fesseln schützen. Wir setzen aber auch auf die vielen helfenden Hände der Bürgergesellschaft. Dem falschen Bild eines technokratischen und smarten Liberalismus setzen wir einen gelebten, gefühlten und glaubwürdigen Liberalismus zum Mitmachen entgegen.
Unser Liberalismus – unser Projekt
Grundgedanken des Liberalismus
6. Unser Liberalismus ist keine Lehre, noch weniger eine Ideologie, sondern der fortgesetzte und praktische Versuch, der Zeit, in der wir leben, mehr Freiheit für die Menschen abzugewinnen, die wir sind. Unsere Grundfrage lautet: Was ist zu tun, um mehr Freiheit für mehr Menschen zu realisieren? Unsere historische Vision einer gerechten Ordnung ist die umfassende Selbstbestimmung und Selbstorganisation liberaler Bürgergesellschaften.
7. Im Ausgang des Liberalismus steht der einzelne Mensch in seiner Würde. Der Mensch gewinnt seine Würde aus der Unhintergehbarkeit seines individuellen wie kollektiven Mensch-Seins – aus dem Geheimnis und Rätsel eines Lebens, das sich erst in der freiheitlichen Gestaltung des eigenen Lebens erfüllt.
8. Wir glauben daran, dass jeder Mensch zur Freiheit, das heißt: zur Selbstbestimmung fähig ist, und dass alle liberale Politik in Demut ihren Ausgang wie ihren Endpunkt in dieser Selbstbestimmung des Einzelnen findet. Jeder Mensch hat das Recht darauf, den ihm gemäßen Lebensentwurf zu leben und die Bindungen einzugehen, die seinem Wirken in der Welt entsprechen. Wir vertrauen auf die Kraft und Vernunft des Einzelnen, im Entwurf des eigenen Lebens tätig an der Welt teilzunehmen.
9. Wo der einzelne Mensch die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Welt im Zusammenwirken mit anderen angeht, wird aus der Freiheit der individuellen Selbstbestimmung die Freiheit der kollektiven Selbstorganisation. In Selbstbestimmung vollendet sich der Mensch, in Selbstorganisation begründet er Gemeinschaft, Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und zuletzt auch den Staat.
10. Wo der Mensch seine Beziehungen mit anderen Menschen eingeht und gestaltet, wird er zum Bürger. Die Zeit ist gekommen, Bürger nicht mehr im Ausgang vom Staat als Staatsbürger, sondern im Ausgang vom Menschen zu begreifen. Liberale Politik bezieht sich nicht in erster Linie auf den Staat, sondern auf die Bürgergesellschaft, die den Bürgerstaat einschließt.
Unsere Strategie für das liberale Projekt
11. Die liberale Bürgergesellschaft ist zugleich ein politisches wie ein kulturelles, ein soziales, ein wirtschaftliches, gesellschaftliches und historisches Projekt mit über 2000 Jahren Tradition. Ihre Traditionen sind für den Liberalismus sowohl Fundus des eigenen Denkens wie Fokus des eigenen Handelns. Unser Liberalismus schreibt die Tradition der Bürgergesellschaft als demokratisch verfasste Praxis der Freiheit der Gleichen fort.
12. Wer Freiheit nur materiell, nicht auch geistig, nur quantitativ, nicht auch qualitativ, nur im Singular, nicht auch im Plural begreift, schadet der Freiheit. Wer die vier Ordnungen der Freiheit: Rechtstaat, Marktwirtschaft, Demokratie und als Klammer der drei anderen die Ordnung der Bürgergesellschaft auf nur eine, zwei oder drei dieser Ordnungen reduziert, reduziert die Idee und das Projekt der Freiheit.
13. Wer glaubt, dass die Idee und das Projekt der Freiheit sich über den parlamentarischen Arm einer staatstragenden Partei ausreichend verwirklichen lässt, schwächt Herz und Hirn dieses Projektes. Wer Freiheit nur als statischen Freiheitsraum, nicht auch als dynamische Befreiung begreift, wer die Praxis der Freiheit unabhängig von der historischen Situation gestaltet, wer die Exegese der Schriften toter Männer vor das Wagnis des eigenen Denkens stellt, beschneidet die Freiheit.
14. Wir wissen, dass wir mit der Bürgergesellschaft als Praxis der Freiheit Verantwortung für eine Form menschlicher Zivilisation übernehmen, die stets gefährdet und nie ganz gewonnen ist. Aber wir glauben daran, dass die liberale Bürgergesellschaft von morgen eine bessere und gerechtere Gesellschaft ist als die Gemeinschaft der Angst und der Unsicherheit von heute.
Unsere liberalen Stärken
15. Die Stärke von uns Liberalen beruht auf unserem Vertrauen in den Menschen und seine Vernunft. Misstrauen macht Menschen schwach, aber Vertrauen macht stark und frei. Vertrauen spricht das Beste im Menschen an und setzt es frei: die Selbstbestimmung in Würde. Wir vertrauen darauf, dass Menschen kreativ und unternehmerisch, solidarisch und mitfühlend sind, wenn sie ihre Fähigkeiten entwickeln durften und den Freiraum dazu haben. Und wir vertrauen darauf, dass sich Menschen im Zweifel immer für die Selbstbestimmung, nicht die Fremdbestimmung entscheiden.
16. Wir stellen uns den ökologischen, sozialen, ökonomischen und politischen Herausforderungen unserer Zeit in dem Wissen und Vertrauen darauf, dass nur eine Praxis der Selbstbestimmung und Selbstorganisation in der Lage sein wird, den gesamten Reichtum an Ideen und Initiativen, an Aktivitäten und Aktionen, an Wissen und Werten in unserer Gesellschaft für die Bewältigung dieser Herausforderungen fruchtbar zu machen. Generationengerechte Entwicklung gelingt nur, wo liberale Ordnungen die Kreativität und Dynamik ziviler und nachhaltiger Lösungen freisetzen.
17. Unser Liberalismus liebt das Leben in seiner Vielfalt, seiner Unerschöpflichkeit und seinen Überraschungen. Wir wählen das Leben vor dem Tod, die Bejahung vor der Verneinung, den Optimismus vor dem Pessimismus, die Gestaltung vor der Beharrung, die Sinnenfreude vor der Askese, die Großzügigkeit vor der Angst. In jeder Herausforderung sehen wir noch eine Chance für die Menschen, noch eine Aufgabe für die Liberalen.
18. In diesem Geist gestalten freie Demokraten freie Demokratien, freie Staaten, freie Märkte und freie Gesellschaften. Erfüllt von Stolz auf unsere Tradition und in Demut vor der Würde des Einzelnen und vor der Vielfalt des Lebens, übernehmen wir mit der politischen auch die geistige, moralische und kulturelle Führung unserer Gesellschaften.