Klimawandel als ethisches Problem

Der Philosoph Stephen Gardiner nennt den Klimawandel den „perfect moral storm“, also: das größte anzunehmende moralische Problem (hier, ausführlicher im pdf hier). Denn der Klimawandel entziehe sich typischen ethischen Problemen (und deshalb Theorien), die sich – das hatte Hans Joas schon in seinem Hauptwerkt „Prinzip Verantwortung“ beschrieben – im Nahbereich menschlichen Handelns abspielen.

Photo by Vincent M.A. Janssen from Pexels

Dagegen sei der Klimawandel geprägt von einer Streuung von Ursache und Wirkung, der Zersplitterung der Akteure und von institutionellen Unzulänglichkeiten. Das zeige sich in folgenden Charakteristika des Klimawandels. Dieser sei…

  • … ein globales Problem: Was eine Nation auf der einen Seite der Welt verursacht, trifft auf der anderen Seite eine andere,
    • was eine globale „tragedy of the commons“ darstellt,
    • die im bestehenden internationalen Governance-System nicht adäquat behandelt werden kann,
    • oder nur isoliert in einer Vielzahl von Folgen behandelt wird: steigender Meerespiegel, Veränderungen des Ökosystems, Mangelernährung, Armut, Flucht, Menschenrechtsverletzungen usw..
  • … ein intergenerationelles Problem: Was wir heute tun, trifft zukünftig Geborene – was sich den Dynamiken erlebbaren Feedbacks entzieht,
    • einmal positiv in dem Sinne, dass auch heutige Lösungen uns nicht sofort Veränderungen zum Besseren bescheren;
    • vor allem aber negativ im Sinne des „generational buck passing“; die Diskussion heute sei geprägt von der „Tyrannei des Gegenwärtigen“, bei der heutige Generationen „bescheidende Vorteile“ mit möglicherweise katastrophalen Kosten für spätere Generationen erkauften.
  • … eine Frage unserer Verantwortung „zwischen den Arten“ für Tiere und Pflanzen.
  • … eine Herausforderung an Individuen ebenso an wie an uns als Mitglieder größerer politischer Systeme.
  • … eine Herausforderung für die Herstellung und den Umgang mit verlässlichem Wissens, weil wir auch naturwissenschaftlich Neuland betreten.
  • … eine Versuchung zur moralischen Korruption, womit er eine Verzerrung der ethischen Diskussion meint. Dazu gehören etwa:
    • Wo die Betroffenen nicht mit am Tisch sitzen, werden Ausflüchte für das Nichthandeln leicht.
    • Es kommt leicht zur bloß ökonomischen Aufrechnung von Vor- und Nachteilen.
    • Organisierte kurzfristige Interessen dominieren schwach organisierte, wenig konkret formulierbare Interessen.
    • Die Annahme, alles lasse sich harmonisch auf lösen.
    • Kurz: Ablenkung, Selbstzufriedenheit, unvernünftiger Zweifel, selektive Aufmerksamkeit, Irrglauben und Täuschungen, Falschaussagen und Heuchelei mindern die Chance auf vernünftige ethische Abwägungen.

Keines dieser Probleme ist für sich neu. Dass sie aber zusammen geballt und mit existenzieller Wucht auftreten, muss in der Tat als Herausforderung für ethisches Denken an sich gewertet werden.

Das wirft für Gardiner die Frage auf, welchen ethischen Bezugsrahmen wir wählen sollten, um das Problem aufzuarbeiten. Dieser Bezugsrahmen bestimmt nicht nur die Probleme, die wir sehen, sondern auch die Lösungen und die Bereitschaft wichtiger Akteure, sich daran zu beteiligen.

Wolle man beispielsweise ein Limit für CO2-Emissionen setzen, so könne man etwa die Priorität auf die Zukunft legen. Technisch sei es einfach, 50 bis 80 Prozent CO2-Ausstoß von heute auf morgen zu reduzieren: Einfach durch Abschalten der Elektrizität, der Autos und anderer Emittenten. Das allerdings würde zu sozialem und ökonomischem Chaos, humanitären Katastrophen und Umsiedlungen ungeahnten Ausmaßes für die heutige Generation führen. Das kann man mit guten Gründen als unverantwortlich ablehnen.

Allerdings beinhalte diese Überlegung die Annahme, dass das Verhältnis der Kosten einer vorsichtiger gestalteten Emissionsrücknahme heute und die späteren Kosten eines Versäumnisses sich an einem bestimmten Punkt umkehren. Bisher sei aber niemand in Sicht, der diesen Punkt bestimmen wolle. Vielleicht deshalb, weil wir uns näher am anderen Extrem der Antwort befänden: beim absoluten Vorrang kurzfristiger heutiger Interessen. Schon seit dem ersten Intergovernmental Panel on Climate Change Report von 1990 wissen man um künftige Folgen und tue nichts.

Gardiner warnt:

„The real climate challenge is ethical, and ethical considerations of justice, rights, welfare, virtue, political legitimacy, community and humanity’s relationship to nature are at the heart of the policy decisions to be made. We do not “solve” the climate problem if we inflict catastrophe on future generations, or facilitate genocide against poor nations, or rapidly accelerate the pace of mass extinction. If public policy neglects such concerns, its account of the challenge we face is impoverished, and the associated solutions quickly become grossly inadequate. Ongoing political inertia surrounding climate action suggests that so far, we are failing the ethical test.“

In der Washington Post, 9. Januar 2016

Mir scheint, er greift noch zu kurz: Es geht ja nicht nur darum, ein ethisches Argument zu machen, dass der Enormität der Herausforderung gerecht wird. Sondern es geht darum, wie Verantwortung in die Welt kommt: Wie wir sicherstellen, dass die Kritik ankommt und die Korrekturen greifen, mit den gewünschten Effekten, mit möglichst wenig Schaden für Dritte.

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